Langjähriger Familienbetrieb: Die Fleischerei Geßner

Langjährige Familienbetriebe in unseren Ortsteilen

Die Fleischerei Geßner in Grüna

Bisher hatten wir in dieser Rubrik Geschäfte in Grüna und Mittelbach, die seit ca. 100 Jahren in den Händen einer Familie oder fortlaufend an gleichem Ort existieren. Heute geht es um eine Zeit von ca. 450 Jahren! Denn mit einem Caspar Geßner, der gegen 1550 geboren wurde, tritt ein Fleischer in der Familiengeschichte auf. Und von diesem Zeitpunkt gibt es von Generation ununterbrochen Fleischer bzw. Fleischhauer in der Familie Geßner. (Nebenbei bemerkt, Caspar hatte in 3 Ehen 16 Söhne – Töchter wurden nicht erwähnt bzw. spielten damals in den Stammbäumen keine Rolle – und 90 Enkel.) Caspars Fleischerei befand sich aber noch nicht in Grüna sondern in Scheibenberg im Erzgebirge, aber mit der 7. oder 8. Generation wurde Anfang des 19. Jahrhunderts Oberlungwitz der Wohnort der Geßner-Fleischer. Immer wieder wurden die Söhne, oft auch mehrere, Fleischhauer oder Fleischermeister. In 11. Generation war es Rudolf Karl Geßner (von dessen 5 Brüdern drei ebenfalls das Fleischerhandwerk erlernten). Er betrieb in Schönau eine Fleischerei und heiratete 1919 Klara Magdalene Hergert aus Grüna. Das Paar hatte zwei Kinder: Heinz Rudolf und Ilse Magdalene. Die Eltern verstarben früh, die Kinder kamen zu Pflegeeltern, die Fleischerei wurde aber weitergeführt.

In einer zweiten Familienlinie kommt ein Fleischermeister Edmund Lieberwirth ins Spiel. Er kaufte 1912 das Grundstück an der Ecke Pleißaer /Chemnitzer Straße, in dem sich noch heute die Geßner-Fleischerei befindet. Er baute darauf sein Haus und eröffnete mit seiner Frau Wally dort 1914 eine Fleischerei mit Schlachtstätte, Eiskeller und Laden. Die Tochter Erika Lieberwirth heiratete dann 1944 Heinz Rudolf Geßner (1920-2006) aus Schönau, womit auf die Grünaer Fleischerei der Name Geßner überging. 1947 bestand Heinz dann die Meisterprüfung.

Erika und Heinz Geßner

1955 übernahmen Erika und Heinz Geßner das Geschäft der Eltern Lieberwirth. Sohn Rolf (geb. 1953, verheiratet mit Gabi Sonntag) übernahm dann 1985 vom Vater, seit 2019 ist Konrad, der Sohn von Gabi und Rolf, Inhaber der Fleischerei. In 14. Generation ununterbrochenem Fleischerhandwerk in einer Familie! Sachsenrekord? Bestimmt! Vielleicht auch deutscher, europäischer oder Weltrekord …. Und mit dem 2020 geborenen Friedrich, Sohn der jetzigen Inhaber Corinna und Konrad Geßner, steht vielleicht schon die 15. Generation in den Startlöchern.

Rolf, Friedrich und Konrad Geßner

Auch wenn die Fleischer-Dynastie der Geßners 450 Jahre zurückreicht, das Geschäft in Grüna besteht seit 108 Jahren.

Das Haus Chemnitzer Straße 78 ist, abgesehen von Renovierungen, Anbauten und Modernisierungen, heute noch weitgehend in der ursprünglichen Form erhalten. Am Anfang befanden sich neben der Fleischerei noch ein Kolonialwarengeschäft und eine Hutmacherei im Haus. Unter dem Dach befanden sich noch Gesellen- und Mädchenkammern (letztere wohl in der Nähe, aber für Nachwuchs in der damals noch idealen Bevölkerungspyramide war also gesorgt). Und es wohnten, besonders in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, gleichzeitig bis zu 40 Personen in seinen Räumen. Heute sind es noch sieben, so ändern sich die Zeiten.

   

Das Geschäftshaus zu DDR-Zeiten und der modernisierte Eingangsbereich heute

Ohne einen Meisterbrief kann man ein solches Geschäft nicht führen. Die Bilder zeigen die Meisterbriefe des jetzigen Chefs und seines Vaters und Großvaters. Und weil es nur einen Chef (oder Chefin) geben kann, sind die Ehefrauen im Geschäft angestellt beschäftigt. Und sie halten ihren Männern den Rücken frei. Hinzu kommt, dass Rolf und Konrad nicht nur Wild-Produkte verkaufen, sondern auch als Jäger dafür sorgen, dass genügend Wild auf den Ladentisch kommt. Corinna - aus Unterfranken stammend - ist ebenfalls leidenschaftliche Jägerin, der Grund übrigens, dass sich Corinna und Konrad überhaupt 2017 kennenlernten. Bestimmt nicht einfach, auch noch einen Zweijährigen zu versorgen. Im Büro der Fleischerei steht deshalb ein Kinderbett für den jungen Mann. Friedrich macht einen munteren, fröhlichen Eindruck und scheint Trubel um sich gewöhnt zu sein.


Die Meisterbriefe der letzten 3 Chefs

Zu DDR-Zeiten waren Geßners immer selbstständig. Um Kunden brauchten sie sich nicht zu bemühen, eher um ausreichend Fleisch, das ja kontingentiert wurde. Wenn bevorzugte Abnehmer, seien es die Interhotels oder Staats- bzw. Parteieinrichtungen, besondere Stücken Fleisch anforderten, konnte es passieren, dass z.B. alle angelieferten Rinder ohne Zunge waren. Und das in der Fleischerei verarbeitete Fleisch war häufig schon Freitagmittag ausverkauft – eine Öffnung am Samstag lohnte sich deshalb gar nicht erst. Aber es gab wie überall in der DDR noch Wege, etwas an Schlachtfleisch dazuzukaufen. Die Kunden wussten es zu schätzen. Und man musste sich zu helfen wissen, oft war Improvisation gefragt. Zum Beispiel holten die Geßners die für die Räucherei benötigten Späne selbst aus dem Sägewerk Schreiter in Grüna.

Nun, in der Nachwendezeit, mangelt es nicht an Fleisch. Eher an Kunden, die angesichts der Supermärkte und Discounter mit ihren überdimensionierten Verkaufsflächen zu billigem Fleisch greifen. Allein mit dem alten Sortiment – Schwein, Rind, Lamm – könnten Geßners nicht mehr existieren. So sind die Verarbeitung und der Verkauf von Wild als zweites Standbein dazu gekommen. Wild bestimmt mittlerweile zu mehr als 60 Prozent das Geschäft. Eigene Jagd und Verträge mit dem Sachsenforst in den Forstbezirken Chemnitz und Marienberg sorgen für ausreichend Wild. Was Rind- und Lammfleisch anbetrifft, legen Geßners Wert auf hochwertiges Fleisch der Region. Verträge haben sie z.B. mit „Erzgebirgisches Weiderind Niederwürschnitz“ und der Schäferei Kunath in Marienberg. Alle Sorten Wurst, die es in der Fleischerei aus „normalem“ Fleisch hergestellt wurden und werden, gibt es auch aus Wild.

Schon im August 1990 wurde der Verkaufsbereich modernisiert, damals die erste moderne Fleischerei in der Region. Anschließend wurde der Produktionsbereich auf den neuesten Stand gebracht. Alles, was auf den Ladentisch kommt, ist in dem Produktionsbereich des Geschäfts hergestellt bzw. zubereitet. Dazu sind 2 Fleischer angestellt. Und eine Verkäuferin ist dauerhaft beschäftigt, ansonsten helfen auch die Ehefrauen von Junior- und Seniorchef angestellt im Laden mit.

Die Produktionsräume sind mit modernen Koch-, Räucher- und Verarbeitungsmaschinen ausgestattet. Wenn Geßners daran denken, dass die ja großenteils mit Erdgas betrieben werden, wird es ihnen schon ziemlich unwohl.

Blick in den modernen Produktionsraum

Filialen, mit denen man es nach der Wende mal versucht hatte, lohnen sich nicht. Aber man beliefert das Forsthaus Grüna und das Hotel Abendroth in Mittelbach. Und Partyservice wird angeboten und angenommen. Da können auch auf Wunsch der Kunden vegetarische Produkte dabei sein – natürlich nicht ausschließlich, und vegane Kost widerspricht dem Selbstverständnis eines Fleischers. Und als weiteres Standbein kommt noch der Karpfen-Verkauf in der kalten Jahreszeit von Oktober bis Ostern hinzu. Nachlesen kann man alles auch auf der Website www.fleischerei-gessner.de .

Die Fleischermeister Geßner sind, das versteht sich von selbst, Mitglieder der Innung des Fleischerhandwerks. Deren Zunftzeichen ist das Heilige Gotteslamm mit der Kreuzfahne, das „Agnus Dei“. Die Verwendung dieses alten christlichen Symbols ist Ausdruck für die Achtung vor dem Leben. Geßners besitzen noch eine alte Zunftfahne der Grünaer Fleischer.

Fahne der Grünaer Fleischerinnung mit dem Zunftzeichen des Fleischerhandwerks

In den mehr als 100 Jahren ist so manches passiert, einmal das Dach abgebrannt, einmal gab es bei einer Vorführung des Ausbrennens des Kamins durch einen Lehrmeister eine Verpuffung, die den zuschauenden Lehrlingen Haut schwärzte und Haare verbrannte.

Aber für Geßners ging es immer weiter. Der Betrieb hat sich seit seiner Gründung 1914 mehrfach sehr gewandelt. Den Handwerksbetrieb aufrecht zu erhalten, ist nicht leicht. Es gelang aber bis heute, vielleicht geht es später auch in der 15. Generation weiter. Wir, Bernd Hübler und Ulrich Semmler, wünschen das den Geßners. Wir bedanken uns für das nette Gespräch bei ihnen. Der Duft von frisch Geräuchertem liegt uns noch in der Nase. Manch einer geht zur Erholung und zur Wellness in Salzgrotten u.ä. …. Aber wie wär’s einmal mit einer Kur in einer Räucherei?

Dieser Artikel stammt aus dem Ortschaftsanzeiger Grüna / Mittelbach Oktober 2022

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