Im Gespräch: Karla Krahmer

Anfang des 20. Jahrhunderts, als nach den Strumpfwirkern die Handschuhfabrikation in Grüna immer stärker dominierte, kam ihr Großvater nach Grüna. Carl Winkler gründete am 5. Juni 1913 die  Handschuhfabrik in der Parterrewohnung seines Sechs-Familienhauses Baumgartenstraße 19. Weil das hundertjährige Firmenjubiläum bevorsteht und weil die Enkelin heute die einzige Vertreterin der Textilbranche in Grüna ist, waren wir im

Gespräch mit Karla Krahmer

 Rechtzeitig zum Firmenjubiläum haben Karla und ihr acht Jahre älterer Bruder Christian, der 1961 in die Schweiz übersiedelte, 1973 heiratete und mit seiner Familie dort lebt, eine Firmenchronik zusammengestellt, eine gute Grundlage für unser Gespräch.

Die Firmengeschichte begann mit dem Handschuhzuschneider Carl Winkler, der 1907 die Handschuhnäherin Rosa Pester heiratete, vier Tage nach der Hochzeit zogen sie nach Grüna. Zuvor war er täglich von Hartmannsdorf zu Fuß nach Grüna zur Arbeit gekommen. Die Söhne Herbert und Heinz waren schon geboren, als sie 1912 in ihr Sechs-Familienhaus einziehen und die Firma gründen konnten. Für Rosa Winkler kam bald eine schwierige Zeit, mit der neu gegründeten Firma und zwei kleinen Kindern musste sie allein zurechtkommen. Carl war mit Kriegsausbruch 1914 zum Militär eingezogen worden, kehrte 1918 nach Hause zurück. 

Trotz politischer Wirren und Nachwirkungen des Krieges entwickelte sich die Firma gut. 1923 (zur Inflation) wurde die kleine Fabrik, 1930/31 (Weltwirtschaftskrise) das große Fabrikgebäude (Aufstockung 1934/35) errichtet, so dass in Zeit der Hochkonjunktur tüchtig produziert werden konnte. In den 1930er Jahren arbeiteten ca. 100 Frauen und Männer in und für die Firma, also teilweise in Heimarbeit. Hergestellt wurden Industriehandschuhe, Winterhandschuhe, Fäustlinge aber auch elegante Damen- und Herrenhandschuhe aus Stoff oder Leder. Eine kleine Auswahl hat uns Karla Krahmer gezeigt, diese will sie auch zur Jubiläumsfeier ihren Gästen, den jetzigen Geschäftspartnern ebenso wie den Mitarbeitern der letzten Jahre, präsentieren. Denn diesen Produktionszweig kennt heute niemand mehr.

Zwei Söhne – zwei unterschiedliche Berufswünsche. Herbert, der ältere, trat 1935 in die Firma als Kaufmann ein, sollte und wollte sie später vom Vater übernehmen und weiterführen. Heinz lernte Fleischer in der Fleischerei Max Geßner (heute Buchbinderei Alexander Geßner) und legte seine Meisterprüfung 1935 ab. Doch die Auftragslage war so gut, dass er im elterlichen Betrieb gebraucht wurde.

Der 1. September 1939: die Brüder müssen in den Krieg. Während Herbert seit 1934 verheiratet war, nutzte Heinz einen Kurzurlaub im Februar 1940, um seine Hildegard zu heiraten. 1941 wird Sohn Christian geboren. Die Schwiegertochter hatte elf Jahre als Kontoristin der Oberlungwitzer Strumpffirma Günther gearbeitet und wird so für Carl Winkler und die Firma zu einer wertvollen Stütze in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Das ist vielleicht auch ein Trost, als die Familie die Nachricht erhält: Herbert Winkler ist 1943 in der Sowjetunion gefallen.

Am 8. Mai 1945 war der furchtbare Krieg endlich zu Ende, der so viele Menschenleben kostete und zerbombte Städte zur Folge hatte. Schon im April hatten amerikanische Truppen Grüna besetzt, ihre Kommandantur richteten sie im Wohnhaus und der Fabrik Winkler ein. Die Bewohner mussten bei Verwandten oder Nachbarn unterkommen.

Beim Rückzug der Amerikaner schlugen sie dem Firmeninhaber vor, alle Maschinen mitzunehmen und die Firma im amerikanisch besetzten Gebiet wieder aufzubauen. Doch dazu konnte sich Carl Winkler nicht entschließen, er war über 60 Jahre alt und wartete sehnsüchtig auf Sohn Heinz, von dem die Familie zwei Jahre nichts gehört hatte. Einige Maschinen wurden nach der Besetzung durch die Sowjetarmee dann doch abgebaut und drei Autos konfisziert – als Reparationsleistungen für die von der deutschen Wehrmacht angerichteten Zerstörungen in der Sowjetunion.

Die Arbeit in der Firma lief nur langsam und mit 30 Beschäftigten wieder an. Bei Engpässen half man sich möglichst selbst, zum Beispiel Holz holen aus dem Wald für die Feuerung und durch Nachtschichten, weil tagsüber Stromsperren zu Produktionsausfall führten. Jetzt wurden hauptsächlich Unterwäsche, Schlafanzüge, Nachthemden und Oberhemden hergestellt, oft auch auf Kundenwunsch Textilien nur repariert. Sowjetische Offiziere mit ihren Frauen waren ganz willkommen, für ihre Unterwäsche oder Nachthemden bezahlten sie doch in der Regel mit einem dringend benötigten Fass Benzin. Unmittelbar nach dem Krieg wohnten Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten im Wohnhaus und in zeitweise nicht benötigten Firmenräumen.

Freude im April 1948: Nach acht Jahren im Krieg und in der Gefangenschaft kehrt Heinz nach Hause zurück. Freude im Juni 1949, als Tochter Karla geboren wird. Im Dezember 1950 wird ihr Vater Mitinhaber der Firma, die nun ca. 40 Personen beschäftigt. Die Engpässe in der Stromversorgung überbrückt man mit einem lärmintensiven Generator. „Heute würde halb Grüna vor der Fabrik protestieren“, schmunzelt Karla, die das aber mehr aus den Erzählungen ihrer Eltern weiß.

Was sie bewusst miterlebte, war 1961 der Tod ihrer Oma Rosa Winkler. „Sie war eine treusorgende Ehefrau und Mutter und hatte schon im Ersten Weltkrieg bewiesen, was Frauen leisten können, wenn sie aus dem Schatten ihres Mannes treten.“ Firmengründer Carl zog sich aus dem Geschäftsleben zurück und Heinz Winkler verkleinerte die Zahl der Mitarbeiter unter zehn Personen, um die Fabrik vor der Verstaatlichung zu bewahren. Die leer gewordenen Räume vermietete er von 1962 bis 1989 an den Sozialistischen Großhandelsbetrieb Kurzwaren.

Und Tochter Karla? Sie war schon als Kind gern in den Produktionsräumen. „Ich wollte unbedingt Schneiderin lernen. Aber erst lernte ich von 1964 bis 67 in Limbach bei der Fa. Steger Konfektionärin für Trikotagen.1969 erwarb ich meinen Meisterabschluss, da war ich schon zwei Jahre bei meinem Vater angestellt. Das erlebte mein Großvater noch, der 1973 starb. Er war eine dominante Persönlichkeit. Er hat hart gearbeitet, Mut zum Risiko bewiesen und seine Firma aufgebaut – ein typischer Vertreter seiner Generation.“

Ihren Kindheitswunsch, Schneiderin zu werden, erfüllt sich Karla – die 1973 Winfried Krahmer geheiratet, aber durch einen tragischen Unfall bei der Armee schon 16 Monate später verloren hatte – 1978/79 durch die Lehre und den Facharbeiterabschluss als Damenmaßschneiderin.

1986 bleibt in zweifacher Hinsicht ein bemerkenswertes Jahr im Leben von Karla Krahmer, Ihr Lebenspartner Klaus Ahnert zog zu ihr nach Grüna, half mit seinem Fachwissen und war später bei der Pflege der Eltern eine große Stütze. Und sie übernahm in jenem Jahr die Firma von ihren Vater Heinz Winkler, führte ihren kleinen Betrieb mit damals vier Mitarbeiterinnen mit großem Einsatz und viel Liebe zum Beruf. Anders als heute brauchte sie sich kaum Sorge um Aufträge zu machen. „Wir produzierten auf Lager und wir hatten Nischen belegt, die großen Betrieben verschlossen blieben. Gute Kunden für unsere Freizeitbekleidung und T-Shirts waren Sportverbände, u. a. der Schwimmverband mit Olympiasiegern und Weltmeistern.“

Klasse statt Masse – dieser Devise ist die Firmenchefin nach 1990 weiter treu geblieben. Wie hat sie diesen Umbruch erlebt?

„Die Freude war bei allen groß. Aber der Euphorie folgte im Geschäftsleben bald einer gewissen Ernüchterung. 40 Jahre grundverschiedene Systeme, veraltete Produktionsanlagen und teilweise auch sogenannte Geschäftsleute, die das schnelle Geld machen wollten, waren Geburtswehen am Anfang der Wiedervereinigung. Der Existenzkampf in der Textilindustrie war und ist durch Billigprodukte aus Asien und Osteuropa besonders hart. Mit unserer kleinen Firma sind wir in der Lage, unterschiedlichste Aufträge zu erfüllen. Es wurde von Jahr zu Jahr schwieriger, Aufträge zu bekommen. Gut für uns, dass wir als Geschäftspartner eine zuverlässige Firma in der Schwäbischen Alb zur Seite haben.“

Auf den Tischen an der Wand stapeln sich Packen mit Stoffen. Für die Lohnkonfektion, hauptsächlich Schlafanzüge, liefert die Spedition die zugeschnittenen Teile an und übernimmt die fertigen und verpackten Produkte für den Auftraggeber. Je nach Modell fertigen sie zu zweit 80 bis 100 Schlafanzüge pro Tag zu festgelegten Preisen. „Um das zu schaffen, gehört viel Fingerfertigkeit dazu, und wir beiden sitzen von früh bis Nachmittag an den Nähmaschinen. Büroarbeit muss zusätzlich erledigt werden.“

Karla Krahmer ist es wichtig, Qualität zu liefern – sonst könnte sie mit ihrem Unternehmen gegenüber der billigeren Massenproduktion nicht bestehen. Trotz des nahenden Rentenalter will sie weitermachen. „Ich hänge am Betrieb und meiner Arbeit, man kann mir manches wegnehmen, nur die Arbeit nicht. Ich denke, das hält mich fit und ich werde noch ein paar Jahre durchhalten.“  Und da blickt auch noch der Stolz durch, eine Familientradition aufrecht zu erhalten. „Wenn das  mein Großvater wüsste, dass sein Betrieb 100 Jahre alt würde...“

Neben der Vorbereitung auf das Firmenjubiläum gab es schon Gespräche, wie sie ihre Firma beim Festumzug am 25. August präsentieren kann. Sie ist die einzige, die die einst dominierende Textilindustrie unseres Ortes noch vorstellen kann.

Wir hatten beim Gespräch den Eindruck, dass Karla Krahmer alle guten Eigenschaften ihrer Vorfahren verinnerlicht hat und danach handelt. Sie ist wie ihre Großmutter und ihre Mutter eine starke Frau, beweist Organisationstalent, ist natürlich fachlich versiert und ganz sicher auch geschickt bei Verhandlungen.

Bernd Hübler und Gerda Schaale bedanken sich bei Frau Krahmer für das Gespräch und die ganz private Demonstration an einigen ihrer Spezial-Nähmaschinen und wünschen weiter erfolgreiches Gelingen.

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