Im Gespräch mit Roland Nestler

Die meisten kennen ihn als langjährigen engagierten Leiter des Grünaer Schnitzzirkels von 1970 bis 2005, seitdem ist er Vorstandsmitglied (Künstlerischer Leiter) und als RoN nun auch Leiter des Malzirkels. Dass er städtebaulich und architektonisch großen Einfluss auf die Dorfplanung der Gemeinde Grüna schon zu DDR-Zeiten und besonders nach 1990 an der Seite von Bürgermeister Gerhard Traetz genommen hat, ist in den Einzelheiten nur den direkt Beteiligten bekannt. „Das erzähle ich nur euch, das braucht nicht ins Ortsblatt.“ Diesen Satz hören wir mehrfach bei unserem

Gespräch mit Roland Nestler

In seiner Auffassung „hier leben so viele Neue, die sich kaum für die Geschichte von Grüna interessieren werden“, wird er sich wohl täuschen. Für diese und für jüngere Grünaer ist es doch spannend zu erfahren, wer in den letzten Jahrzehnten Einfluss – vor allem ehrenamtlich, also ohne Bezahlung – auf die Entwicklung und die Ortsgestaltung genommen hat. Wie sollen sie sich mit ihrem Wohnort identifizieren, wenn sie nichts über dessen Geschichte erfahren? Geboren wurde Roland Nestler 1929 in Grüna, hier besuchte er auch die Volksschule, nach vier Jahren die Oberschule in Chemnitz, Lieblingsfächer: Mathematik, Zeichnen, Englisch. Eine gute Entscheidung für seine berufliche Laufbahn. Doch ein Zwischenabschluss schützt ihn nicht davor, mit 15 Jahren in die Kriegsmaschinerie einbezogen zu werden. „Man muss die Zeit, das Umfeld und die Bedingungen mit einbeziehen. Davon losgelöst bringt man die Gegebenheiten aus dem Gleichgewicht.“ Deshalb möchte Roland Nestler – auch als Teil der Geschichte von Grüna – daran erinnern: 1933 bis 1945 Faschismus, ab 1939 Krieg, sein Vater fällt 1944. Pflicht für alle war Jungvolk – HJ – Wehrertüchtigung – Volkssturm – Flak. „Die großen Bomberverbände flogen nachts über uns hinweg, später auch am Tage. Man konnte die viermotorigen Bomber und die Kondensstreifen sehen. In der Bombennacht auf Dresden leuchtete der Himmel blutrot bis zu uns. Der Nachtangriff auf Chemnitz war furchtbar, über Grüna und Mittelbach standen die Leuchtbomben. Im Wald ab Forsthaus fielen auch Bomben, 86 Einschläge wurden gezählt. Bombentrichter sind noch sichtbar. Die Neefestraße war mit Flüchtlingen, Menschen über Menschen, überladenen Handwagen, Pferdewagen, Vertriebenen aus den östlichen Kriegsgebieten und aus den zerbombten Städten überfüllt. Der Saal vom Grünaer Gasthof war als Notlager hergerichtet. Einige fanden auch in Wohnungen Unterschlupf. Für uns Jungen war unser heimlicher Treff immer noch der Wald am Gussgrundbach oder der Eichelbusch und Erlensumpf im Wiesengrund. Anfang Mai 1945 – wir waren im Wald, als die Sirenen einen lang anhaltenden Heulton von sich gaben: Feindalarm! Über uns kreisten zwei Lightning-Jäger-Doppelrumpf. Vom Oberdorf und vom Landgraben hörten und sahen wir Panzer. Wir konnten nicht weg. Die beiden Jagdflugzeuge schossen auf die Bimmelbahn, die gerade vom Oberen Bahnhof abgefahren war. Erst als die Flugzeuge abdrehten, rannten wir über die Felder nach Hause. Am Nachmittag standen die Amis vor unserer Haustür – der Krieg war vorbei! Nach zwei Monaten gingen die Amis, die Russen kamen. Eine neue Zeit begann, mach das Beste draus – das war mein Motto. Nach einiger Zeit gab es für das langsam normal werdende Ortsgeschehen von der Besatzungsmacht weitere Lockerungen für die Bevölkerung. Was hatten wir zu dieser Zeit im Ort? -    wenig Essbares, also Hamstern gehen!!! -    eine Turnhalle mit Sportplatz -    ein großes Sommerbad, das Gelände hatte für uns an ausgesuchten Stellen Zaunlücken -    ein Kino – als „Kinder“ durften wir mit den sowjetischen Soldaten russische Märchenfilme ansehen Mit 18 Jahren (1947) gingen wir dann in die Pelzmühle zur Tanzschule und dann natürlich zu den neuen Big bands zum Swing, der aber bald verboten wurde. Also nach der Arbeit und an den Wochenenden nun Sport, Abendschule und Tanz.“ Roland Nestler setzt nach Kriegsende 1945 die Familientradition fort und lernt Tischler, legt schon nach zwei Jahren die Gesellenprüfung mit „sehr gut“ ab. Trotz 48-Stunden-Woche trainiert er vor allem an Wochenenden mit Sportfreunden u.a. mit Herbert Uhle leichtathletische Sportarten, der Sachsenmeister-Titel 1949 im 3000-m-Lauf (und das barfuß!) ist der schönste Erfolg. Er probiert Bogenschießen, fährt bei Straßenradrennen für Elite-Diamant mit, erinnert sich an den vollen Saal im Hotel Clauß beim Radballspiel. Voll ausgelastet? Da geht beruflich noch was, findet Roland Nestler und bildet sich an der Volkshochschule im Abendstudium zum Holztechniker weiter. Während der sich anschließenden Meisterschule des Tischlerhandwerks in Berlin findet er die Möglichkeit, ein Studium an der Fachhochschule für Innenarchitektur zur Weiterbildung zu nutzen und erfolgreich abzuschließen. Er bleibt als Innenarchitekt sieben Jahre in Berlin. Das solide Fundament seines Fachwissens erweitert er als Externer an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar/Naumburg, er studiert Bildende Kunst /Design in Halle/Burg Giebichenstein. Wer das Wissen eines Tischlermeisters, Holztechnikers, Innenarchitekten, Holzbildhauers, Dipl.-Ing. Architekten und Dipl. Designers vereint, ist ein gefragter Mann sowohl für Industrieprojekte u.a. in Dresden, Freiberg und schließlich bei der Hochbauprojektierung und im Städtebau/Stadtplanung Karl-Marx-Stadt. In Grüna sind Bürgermeister Kurt Eifler und Werner Gerlach froh, dass ein Fachmann den Bauausschuss der Gemeinde leitet, natürlich ehrenamtlich und nach Feierabend. Neben der beruflichen Auslastung erinnert Roland Nestler sich, wie er als Kind, das kaum über den Tischrand schauen konnte, beobachtet und gestaunt hat, wie Karl Funke (der mit dem weißen Bart auf Fotos der Gründer des Schnitzvereins 1931/32) bei seinem Großvater Holz ausgesägt und bearbeitet hat. 1945/46 gehört er zur Jugendgruppe des Schnitzzirkels. Anfang der 60er Jahre sucht er den Ausgleich zur beruflichen Herausforderung wieder im Schnitzzirkel, wird 1970 dessen Leiter – und bleibt das 35 Jahre lang. Ganz nebenbei erwähnt er, dass er zwölf Jahre Mitglied der Nationalmannschaft im Bogenschießen, dabei 1962 und 1963 Deutscher Meister wurde sowie Teilnehmer an Europa- und Weltmeisterschaften war und den DBSV (Bogenschützenverband) von 1970 bis 1985 leitete. „Nach der Wende habe ich mit Bürgermeister Gerhard Traetz einen sehr guten Faden gesponnen.“ Die Erfahrungen und Kenntnisse eines ehemaligen Bauleiters von Karl-Marx-Stadt und des Architekten fließen ein in den Generalbebauungsplan (Flächennutzungsplan) für Grüna, der vom Gemeinderat beschlossen wurde. Grüna und Mittelbach sollten zusammengehen und dazwischen mit den Sportplätzen und dem Sommerbad ein Freizeit- und Erholungsgebiet mit einem kleinen Stauweiher im Wiesengrund entstehen. Das Gewerbegebiet entlang der Eisenbahn (Grundsteinlegung 24. August 1991) und die Wohnbebauung „Am Hexenberg“ (Erschließungsarbeiten ab 1993) bei vorherigem Beginn des Kanalbaus beweisen, dass in Grüna die Zeichen der Zeit, die neuen Chancen und Möglichkeiten verstanden und zügig in Angriff genommen wurden. Nicht alles wird und kann so realisiert werden, der Gemeinderat macht Zugeständnisse an die Investoren. Nur ein Beispiel: Nach seinen Entwürfen und Vorstellungen sollten auf dem Hexenberg keine Dreigeschosser gebaut werden. Roland Nestler lehnt bei derartigen Kompromissen die Begründung „ökonomische Zwänge“ ab, er sieht die Ortsgestaltung und das Zusammenleben in der Gemeinde als wichtiger an. Ganz besonders am Herzen liegt ihm der jetzige Folklorehof. Hier war im Mittelalter das Ortszentrum von  Grüna – ein Vierseitenhof mit Erbschänke, zwei großen Teichen (Fischzucht), der Korbmühle und der Lohrmühle, hier war schon 1530 der Sitz des Ortsrichters. Von der Erbin des ehemaligen Türk-Gutes lag die Schenkungsurkunde an die Gemeinde Grüna vor. „Dieses bäuerliche Anwesen sollte erhalten bleiben und ein kultureller und kreativer Mittelpunkt für Grüna werden. Denn nach 1990 sind auch in Grüna unwiederbringliche Kulturschätze verloren gegangen. Ich erinnere an das Auerswaldgut (vorher Clauß-Bauer) an der Limbacher Straße mit wertvollem Fachwerk. Ein Wessi erwarb es, ließ mit Fördermitteln das Gebäude abreißen und hinterließ eine Baugrube.“ Roland Nestler erkannte den Wert des Türkgutes: stabile Fundamente, Fachwerk, Kreuzgewölbe im Kuhstall. Die Idee, aus den Halbruinen des mittelalterlichen fränkischen Fachwerkhofes das kulturelle Kreativzentrum FOLKLOREHOF mit seinen neuen Funktionen zu gestalten, wurde vom Gemeinderat bestätigt. Die Grünaer Handwerker, alle Mitglieder des Schnitzvereins und Helfer waren fast sechs Jahre voll am arbeiten! Zur Kirmes 1992 wird der „Taubenschlag“ (die alte Scheune – vorher Annahmestelle für Glas, Papier etc.) für Tanz- und Kulturveranstaltungen eröffnet. Das Richtfest für das „Schnitzerhäusl“ (Ostseite), wo einst hinter drei Toren LPG-Traktoren untergestellt waren und dessen Obergeschoss abgerissen wurde, folgt am 30. Januar 1993. Das alte Wohn- und Stallgebäude wird Hotel und Gaststätte und 1996 fertig.  Der FOLKLOREHOF Grüna ist – bis auf das 4. Gebäude – fertig gestellt. Bereits 1994 kann der Schnitzverein sein neues Domizil mit Werkstatt und gemütlicher Hutznstub‘ beziehen. Der 12. Umzug in der damals 63-jährigen Geschichte des Schnitzvereins bedeutet Ankunft in einer dauerhaften Heimstatt. Inzwischen konnten hier die Schnitzer und Klöpplerinnen das 80jährige Bestehen des Vereins feiern. Roland Nestler hat die nächste Aufgabe für Grüna in Angriff genommen. Die Entwurfszeichnungen für die Figuren, die sich bald auf der Pyramide vor dem Rathaus drehen sollen, sind in Vorbereitung. Die Mitglieder des Schnitzvereins werden bald alle Hände voll zu tun haben – vorausgesetzt, die Gelder für Holz, Betriebskosten etc. werden durch Spenden aufgebracht. Eines gibt uns Roland Nestler noch mit auf den Weg: „Nur wenn an der Spitze eines Vereins – egal ob Sport oder Kultur – Leute stehen, die für dessen Aufgaben und Ziele brennen, selbst Fachwissen haben und praktisch kompetent sind, wenn sie andere begeistern und mitreißen können, macht das  Hobby in der Gemeinschaft wirklich Spaß. So kann auch anderen Freude bereitet und Interesse geweckt werden.“ Für die Einblicke in sein Leben und sein Wirken für Grüna bedanken sich Bernd Hübler und Gerda Schaale.

 

Ein Mann der Tat

Als langjähriger Vorsitzender der FWG Grüna e.V. und ehemaliger Gemeinderat erinnere ich mich gern an die Zusammenarbeit mit Roland Nestler. Durch seinen Beruf hatte er Visionen in vielerlei Hinsicht für die bauliche und kulturelle Entwicklung von Grüna. Bereits in Vorbereitung unseres 1. Totensteinfestes im Juni 1990 gestaltete Roland Nestler das Trafohaus als Symbol des später wieder neu entstandenen Totensteinturmes. In kurzer Zeit erarbeitete er verschiedene Varianten eines Architekturprojektes zur Neugestaltung des im Zerfall befindlichen ehemaligen Türkgutes. Der unter Denkmalschutz stehende Vierseitenhof sollte als Folklorehof das kulturelle Gemeindezentrum werden. Was geworden ist, kann jeder sehen und erleben. (Leider ist das 4. Gebäude der Zwangseingemeindung zum Opfer gefallen.) Auch beim Wiederaufbau des 1993 durch eine Propangasexplosion abrissgefährdeten Taubenschlages hatte er einen wesentlichen Anteil. Als verbesserter Ersatz für das nicht mehr zu erhaltende Sommerbad wurde von Roland Nestler ein Entwurf zur Schaffung eines „Freizeitzentrums mit Frei- und Hallenerlebnisbad“ vorgelegt. Dazu war die Fläche an der Oberförsterei, jetzt Kindertagesstätte „Baumgartenhaus“, vorgesehen. Aus vielerlei Gründen konnte eine Realisierung des Projekts nicht erfolgen. Auch im kräftezehrenden Kampf gegen die Eingemeindung nach Chemnitz setzte er sich ein. So entwarf er nahezu über Nacht das bekannte Plakat mit dem Haifischrachen. An allen Aktionen für die Selbständigkeit der Gemeinden nahm er teil und mobilisierte die Mitglieder des Schnitzvereins. Roland Nestler ist ein Mann der Tat. Ohne viel abzuwägen ging er zur Sache – meistens uneigennützig oder für eine heute lachhafte Aufwandsentschädigung. Danke, Roland, für Deinen Einsatz in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Klaus Büttner

Schnitzverein ohne Roland Nestler? Nicht denkbar!

Kennen gelernt habe ich Roland Nestler in der Jugend-Schnitzgruppe 1945/46. Ich kann sicher im Namen aller sagen: Ohne Roland würde es unsere Gemeinschaft der Schnitzer und Klöpplerinnen so, wie sie die Grünaer und viele andere durch die Ausstellungen kennen, nicht geben. Mit seinen künstlerischen Entwürfen und unter seiner Anleitung entstanden alle Pyramiden in Grüna und die 12,80 m hohe Weihnachtspyramide der Stadt Chemnitz. Das Konzept für die Gestaltung der alljährlichen Ausstellungen in der Weihnachtszeit, mit denen wir unsere Arbeit den Besuchern präsentieren und die wir als Höhepunkt unserer Arbeit betrachten, stammt immer von ihm. Er hat ein gutes Einfühlungsvermögen und wir haben gemeinsam viel Spaß.
Und ganz wichtig: Wie er um den Aufbau des Folklorehofes gekämpft hat! Die Grünaer haben ihr kulturelles Zentrum mit einem vielfältigen Angebot, der Schnitzverein eine neue Heimstatt. Wir möchten noch viele Jahre mit unserem künstlerischen Leiter zusammen arbeiten, weil wir seine Ideen nicht missen möchten, weil wir gemeinsam Spaß und Freude am Schnitzen/Klöppeln haben und hoffen, dass einige der jungen Schnitzer unserem Verein treu bleiben oder zurückfinden, weil Grüna solch schöpferische Menschen wie Roland Nestler braucht.
Heinz Müller

gruena-online.de

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